Liebe Mitglieder der FG Analytische Chemie,

derzeit findet eine rasante Veränderung im Umfeld der Prozessanalytik statt, deren Herausforderungen wir uns zukünftig stellen müssen. Themen wie „Industrie 4.0“, „Dezentrale Automation“ oder „Factories of the Future“ entfalten eine bedeutende Dynamik. Technologische Entwicklungen aus den Nachbarbranchen IT- und Medizintechnik eröffnen neue Möglichkeiten für die Prozessanalytik. Neuartige Sensorkonzepte oder miniaturisierte Bauelemente mit extrem niedriger Preisstellung und Plugin-Software für Smartphones und Tablets lassen eine massive Erniedrigung der Hemmschwelle bei der Beschaffung und Implementierung von Prozess-Sensoren
erwarten. Aber sind diese Module auch ernstzunehmen? Wie geht man mit ihrer Einbindung und Kalibrierung um, ohne auf Sicherheit und Robustheit verzichten zu müssen? Lassen sich neue Konzepte entwickeln, um den vervielfachten Kalibrier- und Wartungsaufwand abzudecken?

Der Arbeitskreis Prozessanalytik befasst sich mit diesen und ähnlichen Fragen seit seiner Gründung vor ziemlich genau 10 Jahren. Damals wurde erkannt, dass entsprechende Antworten und zukunftsfähige Lösungen nur
durch einen hohen Vernetzungsgrad von Forschern, Geräteherstellern sowie industriellen Anwendern gefunden werden können. Diesen wurde mit dem Arbeitskreis eine Plattform geschaffen.

Wichtigstes Forum für diesen Trialog ist nach wie vor das jährliche Kolloquium des Arbeitskreises, welches in diesem Jahr am 1. und 2. Dezember in Wien stattfinden wird. Das 11. Kolloquium wird eine Diskussionslinie
entlang der Wertschöpfungskette vom smarten Sensor bis zur Prozessintelligenz aufspannen. Der smarte Sensor misst mehrere Messgrößen, kalibriert und optimiert sich selbst, ist leicht in Anlagen zu integrieren und erhält seinen Betrieb selbstständig. Eine Prozessintelligenz ist geeignet, aus den multisensorischen und multivariaten Messdaten übergeordnete Informationen zu generieren. Dies ermöglicht eine flexible aber zielgenaue prädiktive
Prozessführung, die Einflüssen von Schwankungen der Prozessumgebung oder nicht konstanter Zwischenproduktqualitäten, wie zum Beispiel bei der Verwendung natürlicher Rohstoffe, begegnen kann. Aber kann man zukünftig überhaupt selbstkalibrierende Sensoren erwarten und wie ist ihr Lebenszyklus-Management zum Erhalt eines validen Messsystems durch den Anwender gesichert?

Die Prozessanalytik fokussiert sich damit nicht allein auf die Erfassung von physikalischen und chemischen Messgrößen oder das Verständnis von Prozessen, sondern befasst sich auch mit flexibilisierten  Automatisierungskonzepten und Prozesstopologien, dies von der Versuchsplanung bis hin zu einer modell- und datengetriebenen Prozessführung. Die Thematik wird damit zwar noch spannender aber auch deutlich komplexer, sodass auch unter diesem Blickwinkel betrachtet tragfähige Konzepte zunehmend nur in enger Zusammenarbeit von Fachleuten verschiedener Disziplinen entstehen können. Neben den Naturwissenschaftlern sind daher im Arbeitskreis Prozessanalytik auch viele Experten aus transdisziplinären Fachrichtungen wie etwa der Verfahrenstechnik vertreten, die nach wie vor einen unverzichtbaren Beitrag leisten.

Die Prozessanalytik versteht sich daher auch nicht als Spezialthema innerhalb der Analytischen Chemie, die Prozessanalytiker nicht als Spezialisten der Spezialisten. Vielmehr wird der Versuch unternommen die Analytischen Wissenschaften in ihrer gesamten Vielfalt von analytischen Methoden und Verfahren in den ingenieurwissenschaftlich-technischen Kontext der Prozesssteuerung und -führung einzubringen. So kann zum Beispiel die im Labor seit Langem etablierte NMR-Spektroskopie, wie momentan schön zu beobachten ist, den von pH-Sonden und Infrarot-Spektrometern geebneten Weg in die  Prozesslandschaft finden.

Damit ist die Prozessanalytik zugleich ein wichtiger Technologietreiber, auch für die eingangs erwähnten Zukunftsprojekte. Und Zukunftsthemen gebieten immer eine besondere Beachtung der Nachwuchsförderung. Der Arbeitskreis erfreut sich seit Jahren einem stetig wachsenden Anteil an jungen
Prozessanalytikern. Zur Bestärkung dieser erfreulichen und wichtigen Entwicklung wird derzeit angestrebt, den Vorstand des Arbeitskreises ab der nächsten Legislatur durch einen Vertreter unserer Jung-Prozessanalytiker zu erweitern. Natürlich wird auch bereits an dieser Stelle dem Aspekt der interdisziplinären Vernetzung eine große Bedeutung beigemessen. Das Doktorandenseminar etwa findet mittlerweile unter Beteiligung der kreativen, jungen Verfahrensingenieure (kjVI, sprich „Kiwis“) der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesens (VDI-GVC) statt. Wir können also zuversichtlich sein, dass den ersten zehn Jahren Arbeitskreis Prozessanalytik weitere arbeitsame aber sehr erfolgreiche Jahrzehnte folgen werden.

An dieser Stelle sei die Gelegenheit nicht versäumt, allen Mitgliedern und Wegbegleitern ausdrücklich zu danken, die durch ihren persönlichen Einsatz dazu beigetragen haben, den Arbeitskreis zu dieser außerordentlich aktiven Plattform auszugestalten und die Prozessanalytik von einem technischen
Werkzeug zu einer international beachteten Zukunftsbranche zu entwickeln.

Für den Vorstand des Arbeitskreis Prozessanalytik

Jens Nolte

 

1. Juni 2017 Nachrichten