post by Martin Gerlach
Die Prozessanalysentechnik bringt Transparenz in qualitative Prozessvorgänge, wenn die Feldmesstechnik, so wie Druck, Temperatur und Durchfluss, keine schlüssige Interpretation des Prozessstatus erlaubt. Heutige verfahrenstechnische Produktionsprozesse und technologische Fortschritte stellen daher höhere Anforderungen an die Prozessführung, wodurch die Bedeutung der PAT und die Durchdringung unserer Anlagen mit Prozess-Sensoren zugenommen hat und weiter zunehmen wird. Dies geht im Wesentlichen auf die drei vorhergehenden Technologie-Roadmaps zurück.
Die Herausforderungen, die die Endlichkeit von Öl-, Gas- und Kohlevorkommen gepaart mit dem Klimawandel an die Prozessindustrie stellen, erfordern gewaltige Veränderungen in der Prozesslandschaft, um diesen Herausforderungen gerecht werden zu können.
„Carbon neutral“ und Kreislaufwirtschaft mit geschlossenen Stoffströmen sind im Augenblick Vorhaben, welche in den nächsten 10-15 Jahren in unsere industriellen Prozesse vollständig integriert werden müssen. Dies muss in nur einem Zehntel der Zeit erfolgen, welche die Menschheit hatte, um die heutigen Prozesse zu entwickeln und zu optimieren. Die Anforderungen an moderne Messtechniken und Sensorik sind, um in diesem Kontext entsprechende Beiträge liefern zu können, entsprechend hoch.
Die im November 2022 vorgelegte, vierte Technologie-Roadmap 2027+ ist wieder ein Gemeinschaftswerk von Anwendern, Herstellern und der Akademia und bündelt diese neuen Anforderungen in 19 alte und neue Thesen, welche den Bedarf an technologischer Entwicklung etwa bis zum Jahr 2027 widerspiegeln. Die Roadmap liefert damit einen programmatischen Beitrag für die Transformation der Prozessindustrie und deren gesellschaftliche Akzeptanz.
Die Inhalte gliedern sich in fünf Themencluster, wobei Digitalisierung und Nachhaltigkeit übergreifende Kernthemen der künftigen Entwicklung sind und somit Effizienz- und Gewinnsteigerung als Treiber überholt haben bzw. als Unterthemen darin aufgegangen sind.
Allgemein zunehmende Anforderungen an Genauigkeit, Empfindlichkeit und Robustheit der Messtechnik und Software, sowie die immer wichtiger werdende Zustandsüberwachung und Selbstdiagnose erfordern zunehmend digitale Kommunikationsschnittstellen für Neu- und Bestandsanlagen.
Neue Produktionsprozesse und Applikationsfelder im Bereich der Nutzung nachwachsender Rohstoffe sowie erforderliche Energieeinsparungen sind sehr wichtige, zusätzliche Einsatzgebiete der Prozessanalytik. Auch Bioprozesse werden eine immer größere Rolle spielen. Der zunehmend erforderliche gesteigerte Einsatz von Messtechnik für rezyklierte oder nachwachsende Rohstoffe stellt wegen der hohen Variabilität dieser Stoffe neue Anforderungen an die Prozess-Sensorik.
Die Entwicklung neuer Messstrategien greift den schon seit vielen Jahren laufenden Prozess zur Übertragung von Laboranalysenverfahren in den Prozess auf, um Messergebnisse zeitnah aus dem Prozess zu erhalten. Dieser bereits länger andauernde Prozess wird sich weiter fortsetzen. Einweg-Sensoren werden eine zunehmende Rolle in der Biotechnologie bei Prozessen, welche in Einweg-Behältern stattfinden, spielen.
Die Nutzung digitaler Daten wird in der Digitalisierung eine zentrale Rolle spielen. Prozess-Sensoren werden aus diesem Grunde zunehmend „smart“ werden. Digitale Zwillinge der Sensoren werden bei der Planung neuer Messtechnik eine größere Bedeutung erhalten. Die Konfiguration und Parametrisierung erfolgen dann bereits weit im Vorfeld der physischen Inbetriebnahme. Daraus ergeben sich neue Geschäftsmodelle für Anwender, Hersteller und Service-Provider. Die Anreicherung der Mess- und der Vitaldaten durch weitere interne und externe Daten, und deren Zusammenführung durch KI-Methoden, kann weitere Erkenntnisse, über die originären Sensor-Daten hinaus, zum Prozess selbst und zu Anlagenkomponenten generieren.
Um die Nutzung digitaler Daten durchgängig und nahtlos verfügbar zu machen, bedarf es eines übergreifend standardisierten Informationsmodells. Das dafür spezifizierte NOA Informationsmodell setzt auf PA-DIMTM und OPC UA Definitionen auf und berücksichtigt auch Anforderungen an die Informationssicherheit. Dies öffnet den Zugang zur übergeordneten IT-Welt. Die Welten von OT und IT wachsen dadurch mehr und mehr zusammen. OT-Implementierungen können dabei Multi-Cloud Architekturen nutzen, für die Cloud- und Edge-Anteile genutzt werden können.
Handlungsfelder
Die Roadmap definiert als Handlungsbereiche folgende Arbeitsfelder für die Weiterentwicklung der Prozess-Sensorik:
Hersteller:
Die Standardisierung von Vitalitätsdaten soll den nachhaltigen und zuverlässigen Betrieb der Messtechnik unter Zuhilfenahme der Digitalisierung effektiver und effizienter gestalten. Dazu muss das NOA-Konzept (NAMUR Open Architecture), welches der NAMUR- Arbeitskreis 3.6 gemeinsam mit dem ZVEI für die Analysentechnik erarbeitet hat, vollständig in die nächste Gerätegeneration einfließen.
Akademia:
Sehr frühe technologische Entwicklungen sollen in Zukunft unter Einbeziehung der Akademia (Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen) erfolgen. Die Inhalte der vorliegenden Roadmap sollen Teil öffentlicher Förderprogramme werden, die diese Einbeziehung der Akademia ermöglichen sollen. Um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen sich die Anforderungen an die Ausbildung an den Hochschulen und Universitäten im Sinne eines übergreifenden, vernetzten Denkens verändern.
Anwender:
Anwender müssen entsprechende Testmöglichkeiten für die Zusammenarbeit mit den Geräteherstellern und den Hochschulen für die in Entwicklung befindliche Sensorik zur Verfügung stellen. Die Digitalisierung erfordert eine Anpassung der Arbeitsabläufe bei den Anwendern wie zum Beispiel sensor- und messstellenspezifische Dashboards in der Fachabteilung und die Mitnahme von Tablets in Anlagen zur Unterstützung der täglichen Arbeit bei der Planung und des Betriebs von Sensorik und Messtechnik.
Die Technologie-Roadmap „Prozesssensoren 2027+“ könnt ihr hier herunterladen.